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Winters Panoptikum

Dr. Christian Schwarz
"Naming" bei Salinger

Das literarische Zitat als Mittel charakterisierender Namensgebung

Mit seiner Notiz "Naming in Salinger" (Notes on Contemporary Literature 1-2, 1971) weist Edward STONE an zwei Beispielen - Ramona in "Uncle Wiggily in Connecticut" und Lee in "Pretty Mouth and Green My Eyes" - nach, dass der Autor mit seiner Namenwahl einem Ratschlag von ARISTOTELES in der "Ästhetik" folge und seine Helden nach allgemein bekannten literarischen Figuren (in diesen Fällen nach Ramona in Helen Hunt JACKSONs Bestseller-Roman "Ramona" bzw. nach Leon in "Madame Bovary" von Gustave FLAUBERT) benenne. Damit lenke er die Assoziationen des Lesers in eine bestimmte Richtung und verleihe seinen fiktiven Personen eine allgemeinere Bedeutung.

Wie jeder Leser mit "SALINGER-Erfahrung" weiss Edward STONE natürlich, dass die von ihm hervorgehobene Art der Namenerfindung nicht die einzige ist, die dieser Autor betreibt; durch seine Formulierungen kann er jedoch den Eindruck erwecken, dass es sich hierbei um das SALINGERs "naming" vorwiegend bestimmende Prinzip handle.

Entschlüsselung der Namen bei SALINGER nur Denksportaufgabe für Intellektuelle?
Mehrfachappelle der Namen

Die Namen in SALINGERs Texten sind oft und vielfältig erklärt und gedeutet worden. Jesus Christus steht hinter "John Gedzudski" (The Laughing Man) und "Jim Castle" (J.C.), "Luce" (C.R.) ist Luzifer, "Ackley" und "Sally Hayes" (C.R.) lassen lautlich bestimmte körperliche (acne, Akne) und geistige (kesses Reden, "haze" als Verbildlichung von Unbestimmtheit, Vagheit) der Namensträger erkennen, "Phoebe" ist doppelter Verweis: auf den Gott der Geistigkeit und Weisheit einerseits und auf die erste Frau, die der Heilige Paulus in seinen Briefen nennt, "Zachary und Martin", die beiden Vornamen von Zooey Glass, bringen den Schauspieler-Bruder Frannys - auf den ersten Blick überraschend - in Verbindung mit dem letzten Propheten des Alten Testaments und dem Heiligen der tätigen Nächstenliebe. Genial ist die Kombination von semantischer (hier textinterner) Anspielung (der Namensträger spricht davon, dass der weibliche Körper wie ein Instrument zu handhaben sei: Stradivari) und Anklang an "laid her" (legte sie um) in "Stradlater" (vgl. US-englische Aussprache), ebenso die polysemantische Prägung "Ossenburger" (für den Sponsor von Pencey Prep, einen Beerdigungsunternehmer: os, ossis lat. der Knochen und -burger wie in "hamburger", "ham" und "oxen" werden konnotiert, aber auch "Burg", um beim Namen der Schule zu bleiben - bei der Benennung von Örtlichkeiten verfährt der Autor gleichfalls sehr bewußt, um nicht zu sagen "in a sophisticated way" - : "Pencey" läßt neben "pen", dem wohl wichtigsten Gerät an einer Schule, auch pansy, Stiefmütterchen, das Slangwort für "homosexuell" erahnen; "Thomsen Hill" ist eine literarische Anspielung (der Hügel, den Holden besteigt, um auf den Sportplatz seiner Schule zu blicken, die zu verlassen er im Begriff ist, wird dem Hügel gleichgesetzt, den Tom Sawyer aufzusuchen pflegt, wenn er sich Gedanken über etwas macht, in einer Krise ist) übrigens ebenso wie "Horwitz", der Name des Taxifahrers, den Holden nach dem Verbleib der Teichenten des Central Park im Winter befragt (Anklang an Horatio in "Hamlet", dem gesagt wird, dass es Dinge zwischen Himmel un Erde gibt, von denen er nichts ahnt).

An diesen Beispielen wird klar, dass mehr als ein Prinzip bei der Namengestaltung durch den Autor angewandt und mehr als eine Autorabsicht realisiert wurde, das Wirkungsspektrum des "naming" also viel breiter ist als es STONEs äußerungen nahelegen.

Sicherlich gibt es Leser, die durch Namengebung, die Namen in anderen Werken der Literatur nahekommt, diese Werke und deren Figurenkonstellation bzw. -funktion assoziieren und während des Lesevorgangs oder bei der Reflexion des Gelesenen reaktivieren; doch auch dann, wenn es um sehr bekannte Texte geht, um Bestseller etwa - wie der von STONE erwähnte Roman Helen Hunt JACKSONs - , wird ihre Zahl geringer sein als die derjenigen Leser, die die Namen ohne Bezugsetzung zu anderen Texten zur Kenntnis nehmen. Der von STONE anvisierte Lesertyp indessen sollte einer größeren Gruppe von Lesern zugerechnet werden, die speziell SALINGER-Leser sind, die wahrscheinlich sogar die vom Autor geäußerte Absicht, eine Art Pantoffelkino für seine Leser einzurichten, realisiert, sich auf fiktive Lebenswelt der Figuren eingelassen haben (ob sie sich nun mit der oder den Figuren "identifizieren" oder nicht), die Story verinnerlichen und zu ihr nach dem Leseakt zurückkehren, sie in anderen Lebenssituationen aufgreifen, z.B. in einer Art Modellfunktion, für das eigene Verhalten in der Realität.

Diese Leser verfügen in der Regel nicht über die von STONE vorausgesetzte Leseerfahrung, die ihnen eine Bezugnahme via naming zu anderen, besonders etwa "klassischen" Werken ermöglichen könnte.

Was die jugendlichen Leser betrifft, die sich erfahrungsgemäß besonders für die Namengebung und -deutung im SALINER Roman interessieren, so ist ihre Rezeption des um Jugendprobleme kreisenden Textes SALINGERs bestimmt von dem persönlich erlebten Problemrahmen: sie sind beeindruckt von der Mischung aus Unsicherheit und "Lockerheit", "Coolness", die Holden Caulfield an den Tag legt. Wer in den Indentitätskrisen der Spätpubertät und Adoleszenz steht, für den haben Namen eine spezielle, weil Identität und damit Differenzierung vom Anderen ausdrückende Wertigkeit.

Im übrigen ist das "naming" als Element der Textstruktur zu sehen. Das Deutungsinteresse steht also im Zusammenhang mit den zahlreichen rätselhaften oder rätselartigen Stellen im Werk, die zumeist durch Symbole aufgeladen sind, die als Teile einer privaten Symbolik des Helden aufgefasst werden. Selbstverständlich verläuft der Lesevorgang auf den parallelen Linien der Deutung von Verhalten und Charakter des Protagonisten einerseits und dieser symbolisierenden Textelemente andererseits. Auf diese Weise, im Zusammenspiel von Fabel, Charakter, Episode und Sprachstil, kommt das Interesse am "naming" zustande, kann es seine Wirkung entfalten.

SALINGERs Namen sind weder außergewöhnlich noch ganz alltäglich - für die Vornamen gilt dies allerdings nicht im gleichen Maß. Betrachten wir den Namen des Ich-Erzählers in SALINGERs Roman: "Holden Caulfield." Der Nachname könnte ein irischer oder ein anglisierter europäisch-jüdischer Name sein - erster Hinweis auf (auto)biographischen Hintergrund, die irisch-jüdische Herkunft des Autors? Zum ersten Mal tritt er in denjenigen short stories auf, die Episoden des späteren Romans zum Gegenstand haben. Der Name wird im übrigen von Charlie CHAPLIN erwähnt, als der der Vermieterinnen seiner ersten Londoner Wohnung. Von einer Bekanntschaft SALINGERs mit CHAPLIN wird nirgends berichtet, obwohl sich der Autor indirekt über ihn äußert, nachdem Oona O'NEILL, die ein Jahr lang seine Freundin war, CHAPLIN nach Abbrechen der Beziehung rasch und überraschend ehelichte. (Die erste Tochter aus dieser Verbindung heißt Geraldine; SALINGERs Spitzname, mit dem er auch seine - zu einem Skandal im Bekanntenkreis führenden - Briefe an Oona unterzeichnete, war "Jerry".) Im Hinblick auf die Erwähnung David Copperfields im einleitenden (und programmatischen) Abschnitt des Romans konnte man "Caulfield" berechtigterweise für einen "Kontrafaktur"-Namen zu "Copperfield" halten. Erst Peter FREESEs Hinweis auf die (anglo-irische) Herkunft des Wortbestandteils "Caul", Häutchen auf der Nachgeburt, ergab sich eine neue Deutungsmöglichkeit. Da "caul" im Volksglauben als Glücksbringer gilt, stellt der Name einen ironischen Kontrast zum Pechvogel-Dasein des Schülers Holden dar. Durch FREESEs Hinweis wurde der nachdenkliche SALINGER-Leser darauf aufmerksam gemacht, dass ihm im Familiennamen der Hauptfigur deren im Verlauf der Romanhandlung häufig auftretende Vorliebe für talismanartige Gegenstände (Jagdmütze, Jacke, Baseballhandschuhe) wiederbegegnet. - Spricht man den Anfangsbuchstaben von "caul" als "s", so ergibt sich "Saul": SALINGERs Vater hieß Sol (Saul). Wieder könnte also ein autobiographisches Detail anklingen.

Bis zur Namenserklärung durch FREESE gab es auf SHAKESPEAREs Hamlet zielende Deutungen; Man glaubte, "cold fields", die Friedhöfe in einem der Hamlet-Monologe im Namen wiederzuerkennen - die Hamlet-Passage und etliche Anspielungen auf SHAKESPEAREs Drama innerhalb des Romans ließen diese Deutung als nicht ungerechtfertigt erscheinen; vor allem aber waren es Holdens Melancholie in den Schlusskapiteln, seine depressive Stimmung im Central Park mit seinen Erinnerungen an Allie, sein Zögern in der Episode mit Stradlater, der von Jane erwartet wird, sein "Alterungs"komplex (symbolisiert durch die graue Haarsträhne), durch die eine solche Namenserklärung angemessen wirkte; der Name konnte als Resumée-Kunstgriff angesehen werden.

"Holden": das offensichtliche, wenn auch wohl ambivalente Interesse des Namensträgers für den Film wird durch den Paten, den Filmschauspieler William HOLDEN, zum Ausdruck gebracht. Daneben aber wirkt das namenenthaltene pun "hold on" als Ableitung mindestens ebenso sinnvoll, weil auf die Werkaussage wie Kommentierung von character und plot bezogen. Der Imperativ ist auch wieder doppelt interpretierbar, als "bleib dran!", Holdens typischer, weil auf eine Kommunikationssuche (bei gleichzeitiger Kommunikationsscheu zeigender Hang zum Telefonieren) wie als "bleib dran!" im Sinn von "halt aus, halt durch!"

An diesem Beispiel wird nicht nur klar, dass mehr als ein Prinzip bei der Namensfindung vom Autor angewandt wurde, sondern auch, wie oftmals die Grenzlinie zwischen "naming" und dem literarischen Mittel des Zitats bei SALINGER überschritten wird, zu einem Stilmittel also, dessen Möglichkeiten ungleich breiter sind als Edward STONEs Vorschlag nahelegt, durch den sowohl Autorenabsicht wie Leserwirkung eingeengt erscheinen.

Mit dem Zitat werden Wirkungen der Komik, genauer des komischen Kontrasts, der Verfremdung, d.h. der Neubewertung des Gewohnten, der Selbstironisierung oder Selbstdistanzierung, der Kontrafaktur mit innovierendem Charakter (durch Verschränkung des jeweils "angespielten" Hintergrunds mit anderen Textmerkmalen) erreicht; mithin wird das "naming" bei SALINGER in manchen Fällen als Facette der Vielfalt erzählerischen Humors erkennbar, und zwar in der morphologisch-semantisch kleinsten Einheit, die jedoch mit anderen erzählerischen Strukturelementen, wie sie für SALINGERs Erzählstil kennzeichnend sind, der "mäandernden" Form des Berichts oder dem Teenager-Jargon, der wörtlichen Rede überhaupt, korrespondiert. In dieser Hinsicht steht SALINGER in einer Reihe mit den Meistern des zitierenden Gestus, mit Jonathan SWIFT, Lawrence STERNE, JEAN PAUL, Alfred DöBLIN, Bertolt BRECHT, Jorge Luis BORGES, John BARTH und John FOWLES und auch in dieser Hinsicht ist er wohl mit Ihab HASSAN als postmoderner Autor zu betrachten.

Naming und Textstruktur, mit Einschub: autorreferentielles Naming

Wenig beachtet in SALINGERs Werk sind diejenigen Namen, die als "self-(author-)referential" angesehen werden können. Die ersten Kurzgeschichten des Autors, d.h. die ersten der nicht in Buchform erschienenen Serie von short-stories, die "for the slicks", die Glanzpapier-Magazine, geschrieben wurden, haben als Helden Babe Gladwaller. Untersucht man diesen Namen genauer, so stellt sich "Babe", Darling, als Entsprechnung der hebräischen Bedeutung des alttestamentarischen "David" heraus. "Gladwaller", in seine Bestandteile zerlegt, verweist mit seiner zweiten Komponente auf "Jerome", indem auf den Heiligen Hieronymus angespielt wird, der in der Kunst als Personifikation der Melancholie "im Gehäuse", in den "Walls", erscheint: "Glad-" könnte als gewollter Kontrast zur gedanklichen Assoziation an DüRERs Graphik angesehen werden; möglich ist aber auch die Rückübersetzung von "Salinger", wenn diesem relativ spät entstandenen Kunstnamen der Zusammenhang mit "salic", selig, froh, unterlegt wird. In Wirklichkeit ist der Familienname Salinger als jüdischer Familienname mit der Eindeutschung von "Salomon" zusammenzubringen. " Babe Gladwaller" enthält unter diesen Gesichtspunkten also die drei Namen des Autors J.D.S..

In Raise High The Roof Beam, Carpenters nennt Buddy Glass, den Schriftsteller Manning L. Vines als sein stilistisches Vorbild; in "Uncle Wiggily in Connecticut" ist dieser Autor der einzige, den Eloises Ehemann liest. Dieser Schriftsteller existiert nicht. Trotzdem gibt es ihn: Fasst man den Namen als Anagramm auf, so ergibt sich SALING VIN M. "Vincent" ist, nebenbei gesagt, der Name des Helden der frühen Kurzgeschichten.
Auch der Name der Titelfigur der Story "De Daumier-Smith's Blue Period", einer Geschichte, in der es unter anderem um das malerische Abbilden der Wirklichkeit geht, verweist auf den Autor zurück. Zunächst ist die Wirkung des Namens natürlich die des komischen Kontrasts zwischen "Smith" und dem berühmten Namen "Daumier", der themagerecht eingesetzt ist. Allerdings ist in der Story kein Graphiker, sondern ein Maler am Werk, was den Verdacht der bewussten Namenwahl im Sinn des referential name verstärkt: ein Anagramm von Jeraume liegt vor, D stünde für David. "Smith" entspricht dem "Rudolf Schmidt", einem Namen, den sich Holden Caulfield zulegt.

Ein Sonderfall der autor-referentiellen Namen ist Boo Boo Tannenbaum; geborene Glass, ist sie eine der beiden Schwestern neben den fünf Brüdern in der Familie, um die sich die späteren Kurzgeschichten SALINGERs drehen. Ihre Beschreibung (in "Down at the Dinghy", deren Hauptfiguren sie und ihr Sohn Lionel sind) wird mit großer Sympathie vogenommen. Offensichtlich ist es eine Art geistiger Konzentriertheit bei gleichzeitiger Gelockertheit des Verhaltens einer äußerlich wenig attraktiv, aber sehr jugendlich wirkenden Frau, eine unauffällige, natürlich-selbstverständliche Durchgeistigung, die diese Sympathie hervorruft. "Abgesehen von ihrem komischen Namen und abgesehen von ihrer allgemeinen Unansehnlichkeit war sie - jedenfalls, was unvergesslich einprägsame und übermäßig wache kleine Gesichter betrifft - eine verblüffende und eindeutig junge Frau." ["Her joke of a name aside, her general unprettiness aside, she was - in terms of permanently memorable, immoderately perceptive, small-area faces - a stunning and final girl."]

Ihr Name erweist sich bei genauerem Zusehen gewissermaßen als "Baum"-Pleonasmus, denn es ist der Bo-Baum [Bodhi-Baum, "Baum der Weisheit"], unter dem der junge Buddha seine Erleuchtung hat. In der Zusammenführung mit dem populären Symbol des Weihnachtsfestes, also mit der Geburt Jesu Christi, liegt eine bestimmte Komik, die in der Relativierung des einen Symbols durch das andere, abgebrauchte, auf das Kindliche Empfinden reduzierte Symbol liegt. Andererseits ist das Element des Kindlichen als des Neuen, des Anfangs, in beiden Symbolbäumen enthalten. Die Namenkomposition hat damit die gleiche Wirkung wie ein Zen-Spruch oder ein Zen-Gleichnis: es kumuliert und relativiert zugleich, löst Kontraste zugunsten eines Bewusstseins von der Einheit der Unterschiede auf. Wenn man annimmt, dass SALINGERs Entwicklung zum Zen-Buddhismus geführt hat, so drückt der Name, der das Ziel der Meditation, die "Leere" (in der Aufhebung der Gegensätze), in der Interaktion seiner Bestandteile nachbildet, die vom Autor angestrebte Art der Geistigkeit aus, einer Haltung, die zwischen Ironie und Ernstnehmen schwebt.

Namen und naming als solche werden in den Stories und im Roman thematisiert. "Bananafish" und "Uncle Wiggily" wirken dabei als Chiffre für bestimmte Verhaltensweisen und Befindlichkeiten; die Deutung der Chiffre zielt auf eine Lebenslehre ab, aber eben der Charakter der Chiffre bewirkt, dass sie nicht eindeutig erkannt werden kann, da das Leben selbst keine eindeutige Erklärung erfahren kann; es bleibt also beim "Zielen".

Die Spezies der Bananenfische wird (in "A Perfect Day for Bananafish") von Seymour für Sybil, das intelligente Mädchen am Strand, erfunden und mit einer Story ausgestattet. Die Fressgier der Bananenfische, die zum Bananenfieber führt, kann sowohl die Suche Seymours nach "wesentlichen" Kontakten wie das oberflächliche Konsumverhalten seiner Frau Muriel meinen. Die Namenfindung ist zusammen mit der Geschichte um die so benannten Fische insofern eine ironische Funktion, als sie einem Gesprächspartner als Parabel erzählt wird, die den Erzähler selbst betrifft, und gerade dadurch, dass sie nur in chiffrierter Form vermittelbar ist, die Unmöglichkeit, das Scheitern der Selbsterklärung - oder deren Gleichgültigkeit? - widerspiegelt: im Entschluss zum Selbstmord im Angesicht der Lebenspartnerin wird diese Ironie (zur) tragisch(en).

"Uncle Wiggily", "Onkel Wackelpeter" ist der Name, den Walt Glass für den Knöchel seiner Gefährtin Eloise prompt parat hat, als diese beim Rush zum Bus zu Fall kommt. Zweimal erwähnt Eloise, zum Zeitpunkt der Handlung der gleichnamigen short story offenbar gescheiterte Collegestudentin und frustrierte Ehefrau, diesen Namen, einmal im Gespräch mit ihrer ehemaligen Kommilitonin Mary Jane und zum anderen, als sie alkoholisiert, an das Bett ihrer weinenden Tochter Ramona stürzt, wobei sie sich wiederum am Bein verletzt; der Name also ist in Verbindung mit der Sturz-Situation (die bei SALINGER häufig auftaucht) zum Motiv geworden. Walt erweist sich mit der von ihm gewählten Bezeichnung als das sprachlich schlagfertige und phantasievolle Mitglied der Glass-Familie, die über solche Fähigkeiten verfügt. Für Eloise ist "Uncle Wiggily" Kristallisationscode ihrer Erinnerung an den im Krieg einer zufälligen Explosion zum Opfer gefallenen Walt, zum Signal der Eigenschaften, die sie an diesem Mann schätzte, "er war entweder komisch oder lieb." Walts Humor, der ihn die überraschendsten absurden Bezeichnungen und Kommentare zu einer Situation finden ließ - zwei weitere Beispiele gibt Eloise im Gespräch, das die story im Wesentlichen ausmacht - ist für die junge Frau Ausdruck des Charmes, der ihrem gegenwärtigen Leben fehlt, ein Charme, der Geistesgegenwart und Witz mit Sensibilität und Zärtlichkeit verbindet. Bei genauerem Zusehen erweist sich "Uncle Wiggily" als erotische Metapher - man erinnere sich an die zärtliche Behandlung von Sybils Fesseln durch Seymour in "A Perfect Day for Bananafish". Der Name Eloise hätte im übrigen zu den zwei von Edward STONE aus SALINGERs Werk zitierten Beispielen für das Heranziehen klassischer Literatur-Vorbilder gepasst. Er signalisiert die unmögliche Fortsetzung einer Liebe in Anspielung auf "Abaelard und Heloise".

"Naming" ist, wenn auch in verdeckterer Form, in zwei weiteren der "Nine Stories", "Down at the Dinghy" und "Just Before the War with the Eskimos" von zentraler Bedeutung für die innere Entwicklung der Figuren. In beiden Fällen handelt es sich um abwertende Namen.

In "Down at the Dinghy" wird die Frage, ob der kleine Lionel die Bedeutung des Schimpfwortes für Juden, "kike", das die Hausangestellten in seiner Gegenwart auf seinen Vater anwenden, kennt oder nicht, wenn er zu seiner Mutter, Boo Boo Tannenbaum, sagt, es heisse "Drachen" ("kite"), zur entscheidenden Frage für die Deutung der Geschichte. Die der Namennennung vorangehende Pause, die Lionel macht, wie vielleicht auch die liebevolle Reaktion der Mutter legen den Schluss nahe, dass er weiß, was mit dem Wort gemeint ist. So könnte dem Leser der Eindruck vermittelt werden, dass Lionel (der "kleine Löwe"), gelernt hat, eine schlimme Situation zu meistern, eine Verletzung zu überwinden und seiner Mutter damit um ein Stück "erwachsener" zu begegnen. Dabei hat er auch - darin ein echter Glass-Sohn - etwas (oder viel) über die Macht der Sprache gelernt.

Häufig wird "Just Before the War with the Eskimos" als Darstellung eines durch das Kriegserlebnis gebrochenen jungen Mannes interpretiert, ein Porträt, das sich vor dem inneren Auge des "behüteten" Mädchens Ginnie Mannox aus wohlhabender Familie zusammenfügt und ihr Mitleid erweckt - siehe die Metapher des toten Küken am Schluss der Geschichte. Aber Ginnie Mannox hat auch etwas gelernt, dass sie selbst betrifft: sie fühlt, vorerst noch unbestimmt, dass sie in Gefahr ist, ein oberflächliches Menschenkind zu werden. Am Beginn der Story hält sie ihre Freundin, Selena Graff, die Schwester des jungen Mannes, den sie bald kennenlernen soll, für die "doofste Nudel in Miss Basehoars Schule", nach der Begegnung mit Franklin fragt sie Selena, ob sie bei den Graffs am Abend vorbeischauen dürfe. Während der Unterhaltung mit Selenas Bruder bezeichnet dieser Ginnies Schwester als "Snob", und zwar ziemlich unvermittelt, und er verweigert zunächst eine Begründung dafür; erst auf Ginnies Drängen hin erklärt er, dass er Joan, die er auf einer Party kennengelernt hatte, acht Briefe geschrieben habe, die unbeantwortet blieben - wie auch ein weiteres Treffen offenbar nicht stattgefunden hat: trotz dieses Sachverhalts sagt Franklin, dass er Joan lang genug gekannt habe. Dies kann als salopp-trotzige Replik gewertet werden, hat aber wohl prinzipiellere Bedeutung: wer sich einem anderen gegenüber so abweisend verhält - oder gar, wer sich nicht in der Lage sieht zu schreiben -, lässt ein Defizit an menschlichen Qualitäten erkennen. Franklins Urteil ist sicher harsch; ob es aber nur aus verletztem Selbstgefühl entsteht, ist fraglich. Es ist ein Geschmacksurteil und ein moralisches zugleich, weil es Kummunikativität als conditio humana, die nicht nur zweck- und interesseorientiert sein sollte, voraussetzt. Mit der Nennung des Wortes "snob" wird Ginnie offenbar produktiv provoziert; jedenfalls verbindet sich die Schockiertheit über die Bezeichnung mit dem Bedürfnis, denjenigen genauer zu beobachten und zu befragen, der ihre Schwester einen Snob genannt hat. Das ebenso wie diese Benennung plötzlich erfolgende überreichen eines halben vom Vortag aufgehobenen Sandwich durch Franklin und dessen Freude darüber, dass sie es zu essen beginnt, aber auch das Erscheinen von Franklins Freund Eric, eines nichtssagend-ordentlichen, nebenbei seinen Freund in dessen Abwesenheit nachteilig darstellenden jungen Mannes, der als Kontrast zu Franklin und als Illustration eines Snobs wirkt, verändern Ginnies Einstellung so, dass sie auf das ihr von Selena geschuldete Geld verzichtet und schliesslich den oben erwähnten Wunsch äußert. Die abwertende Benennung der Schwester und das zwar irritierende, aber liebevolle Verhalten Franklins haben ihre Wirkung getan. Ginnies Blick für das Wesentliche an einem Menschen ist geschärft worden.

Klarer als in den anderen der "Nine Stories" ausgesprochen tritt also hier der in allen Nine Stories von SALINGER thematisierte Gegensatz zwischen der Oberflächlichkeit des US way of life und der oft - durch den Konformitätsdruck - unkenntlich gemachten Humanität hervor, ein Gegensatz, der zu der Dichotomie von "phony" und "nice" im "Fänger im Roggen" vom Autor als über-Zeichen seiner Gesellschaftskritik in erzählerische Funktion gesetzt wird. In der Kritik, die der Autor hierfür erfuhr, zeigt sich die Problematik der Bezeichnung "snob" insofern, als er sich selbst des Snobismus aufgrund der Vereinfachung des Bildes von der Gesellschaft bezichtigt sah, ein Vorwurf, den er durch seine Flucht aus der Gesellschaft vielen praktisch zu bestätigen scheint.

Die besondere Bedeutung, die dem "naming" in der einzigen Künstler-Kurzgeschichte der "Nine Stories" (oder sind sie allesamt Künstler-Kurzgeschichten?) zukommt, geht aus ihrem Titel hervor: "The Blue Period of Mr. De Daumier-Smith." Sowohl die Anspielung auf PICASSO wie die Kopie des Namens des großen französischen Zeichners passen zu der hochstapelnden Geschichte, mit der sich die Titelfigur in der Kunstwelt - allerdings auf deren unterster Ebene - in Szene und ins Brot setzen will. Der Name soll die angebliche Verwandtschaft mit dem echten Künstler und zugleich die populäre Anwendbarkeit von Kunst signalisieren, auch breiteren Schichten ihre Erlernbarkeit suggerieren. Der Kontrast zwischen Namensbestandteilen hat aber auch komische Wirkung, und zwar durch das Nobilität und europäische Kultiviertheit andeutende "De" im Kontrast zum "ordinär"-bürgerlichen Allerweltsnamen Smith. Hier wird der Vorgang des "naming" direkt thematisiert ("Um dieses Pseudonym zu erfinden, brauchte ich fast so lange wie für den ganzen Brief." bekennt De Daumier-Smith), was sowohl zur satirischen Tendenz wie zum selbstironischen Gestus des Textes passt. Als einzige der "Nine Stories" ist diese eine Humoreske. Satirisch ist sie in ihrer Zeichnung der snobiety um den Stiefvater Bobby Agadganian ("god" - "mein Gott!" gain = gewinnen, Gewinn machen), durch die Schilderung des Kunstbetriebs in ärmlichster Umgebung und der Naivität des Kunstverständnisses des japanischen Kunstlehrer-Ehepaars wie seiner (erwachsenen) Schüler, womit letztlich auch die behavioristische wie öffentlichkeitsgeil-eitle Einstellung zum Künstlertum in Nordamerika getroffen werden soll. Das parodistische Element in der Darstellung von Bobbies Umgebung und des Benehmens von "De Daumier-Smith", die durch Sujet und Stil dem Roman der "flaming twenties" angenähert ist, trägt zum satirischen Eindruck des Textes ebenso bei, wie die Darstellung des Gebrauchs der französischen Sprache, wobei dieser wiederum mit dem stereotypen Kunstverständnis zusammenhängt.

Die satirische Ebene des Textes wird indessen um die des Humors erweitert, ja die Geschichte ist möglicherweise von Anfang an auf diese hin angelegt: das nicht ganz ernst gemeint scheinende Berufstätigkeitsunternehmen des jungen Mannes entspringt dem Wunsch, aus dem wenn auch abwechslungsreichen, aber doch nur auf das Materielle ausgerichteten Lebensrythmus des Stiefvaters auszuscheren und - auf dem Wege der Kunst - anderen Menschen zu begegnen. Der Kunst ist damit eine lebensentscheidende Rolle zugwiesen. Bei allem - voraussetzbarem - pragmatischen Denken kann der angehende Kunstlehrer jedoch die Vorstellung vom gelingenden Kunstwerk nicht übergehen. Dass sich eine Schere öffnet zwischen seiner Sehnsucht durch Kunstübung möglicherweise "wesentlicher" gewordenen Menschen zu begegnen und der Notwendigkeit des gelingenden Kunstwerks scheint er bei der - postalischen - Begegnung mit Schwester Irma zu bemerken, deren eingesandte Bilder ihn begeistern. Sein Durst nach künstlerisch Perfektiblem ist angesichts des künstlerischen Unrats, den er bislang zu bearbeiten hatte, verständlich. So bemüht er sich um behutsame Korrekturen und Hinweise; seine Begleitschreiben, in denen er sein besonderes Interesse an einer der von seiner Schülerin gestalteten Figuren, in der er Maria Magdalene vermutet, seine das Klosterleben betreffenden Fragen und seine Phantasien von einer wirklichen Begegnung mit Schwester Irma ("Und dann gingen wir langsam und schweigend in einen fernen grünen Winkel des Klostergartens, wo ich plötzlich auf eine unsündige Weise meinen Arm um ihre Taille legte.") zeigen, dass er nicht nur auf eine in seinen Augen aussergewöhnliche Frau getroffen zu sein glaubt, sondern auch, dass er in ein Dilemma geraten ist.

äußerlich wird dieses Dilemma gelöst durch die Stornierung der Erlaubnis zur Kursteilnahme Schwester Irmas seitens des Klosters, De Daumier-Smith ist mit der Erinnerung an die zurückgeforderten Bilder und dem Bewusstsein einer gescheiterten Begegnung allein gelassen. Der scheinbar unüberbrückbare Gegensatz von Kunst und Leben hebt sich nach einer Weile der Niedergeschlagenheit des (Anti-)Helden - seiner eigentlichen blue period - in einer Art Erleuchtungserlebnis vor den Kunstblumen in dem Schaufenster eines Orthopädiegeschäftes auf, in einer Mischung von äußerem Einfluss und innerem Wandel; der Widerspruch zwischen Kunst und Leben, damit auch die Sehnsucht nach künstlerischer Vollendung und glückhafter Begegnung erscheint in ein neues Bewusstsein, einen Zustand schwebender Ausgeglichenheit übergeführt, der Gegensätze transzendiert.

Man hat hier den Punkt festgemacht, von dem an SALINGERs literarische Tätigkeit durch die Zen-Philosophie bestimmt wird und mit Blue Period eine dritte Schaffensperiode, eine formal wie ideologisch veränderte Produktion beginnen lassen.

Die Art allerdings, wie De Daumier-Smith sein Leben fortsetzt - er zieht zu seinem Stiefvater zurück, nachdem die Privatschule der Japaner ohne Lizenz ist und verbringt die Zeit "damit, das Interessanteste aller im Sommer zum Leben erwachenden Tierchen zu studieren: die junge Amerikanerin in Shorts" - lässt den Schluss zu, dass der Ausgang der Geschichte ihrer Anlage als Humoreske folgt. Bereits zuvor war die Unerreichbarkeit der Verbindung von Kunst und Leben auf komische Weise dargestellt worden, indem das Selbstmitleid und die erotischen Träume des Protagonisten in der Figurenkonstellation Gekreuzigter - Maria Magdalena gespiegelt und als unangemessen vermittelt worden waren, das Scheitern der Kunstbemühung in dem allnächtlichen Stöhnen des japanischen Paares wiedergekehrt war. Die buchstäbliche Erleuchtung des jungen Künstleres ("Plötzlich (und ich sage das mit aller gebotenen Zurückhaltung) trat die Sonne hervor und traf meinen Nasenrücken mit einer Geschwindigkeit von 93 Millionen Meilen in der Sekunde. Ich war geblendet und furchtbar erschrocken und musste mich mit der Hand gegen die Schaufensterscheibe stützen, um nicht umzufallen.") kann der Leser als Parodie des Tao auffassen. Die Geschichte könnte also das humoristische Gegenstück zu "Teddy" mit seiner düsteren Zen-Pointe sein.

Ob Zen in dieser Kurzgeschichte bereits eine Rolle spielt oder nicht, ob es darin ironisch-humoristisch behandelt wird oder nicht - der Zusammenhang zwischen ihr und den späteren Stories dürfte vor allem in der Thematisierung der Kunstproblematik liegen, die sich zunehmend auf den hier schon aufscheinenden Aspekt der Darstellbarkeit von Wirklichkeit, das Problem aller grossen Realisten, konzentriert; der künstlerischen Darstellung dieses Problems wiederum ist das Aufgreifen des Zen-Gedankens nach Meinung der meisten Kritiken nicht förderlich gewesen. Dass sich der Autor in den letzten Erzählungen immer mehr selbst einbezieht, lässt sich bereits hier beobachten: in diesem Sinn, der mit der humoristischen Form - im angewandten Prinzip der durchgängigen Selbstironie - ebenso in übereinstimmung steht wie er für das Themaproblem wesentlich ist, wirkt der Name geradezu als Programm. Nach Peter FREESEs Beobachtung sind die Initialen des Figurennamens mit denen des Autorennamens identisch; als Anagramm aufgefasst, so könnte man hinzufügen, ergibt der Name JERAUME - und SMITH ist das englische Pendant von SCHMIDT, ein Name, den sich Holden Caulfield in einer Episode des Fänger-Romans zulegt.

Für die meisten Kritiker (und wohl auch Leser) stellt die bis dato vorletzte short story SALINGERs, "Seymour. An Introduction" - die letzte, "Hapworth 16, 1924" wird kaum mehr wahrgenommen - ein Scheitern dar, so dass das Verstummen des Autors als konsequent erscheint; entweder hat er, wie manche meinen, nicht die adäquaten Mittel gefunden, um seine Botschaft zu gestalten oder die Botschaft lässt sich mit literarischen Mitteln nicht transportieren. Die Erklärung schein der Autor selbst zu liefern, wenn er - und hier zeigt sich für die meisten der Einfluss der Zen-Philosophie - sagt "I'll champion indiscrimination till doomsday", "[...]" und damit auf "die Instrumente der Unterscheidung" (FREESE) verzichtet, die jede Darstellung von Wirklichkeit voraussetzt. Die bisherige gesellschaftskritische Botschaft seines erzählenden Werkes schein aufgegeben zugunsten einer unterscheidungslosen, weil jeder Erscheinung liebevoll zugewandten Darstellung. Festzustehen scheint die dem Erzählen abträgliche Wirkung der Zen-Denkweise, vermutet wird ein Nachlassen der schöpferischen Kraft des Autors, vermutbar ist aber ebenso ein Spiel mit dem Leser, unternommen von einem erfolgreichen Autor, dem die literaturbetrieblichen Auswirkungen des Erfolgs verhasst sind. Vorstellbar ist auch, dass dieses Spiel darauf angelegt ist, unter Ausspielen der Kritik ein direktes Verhältniss zwischen Autor und Leser herzustellen ("prose home movie" - "Heimkino in Prosa"), den Leser ebenso zu einem Mitglied der Glass-Familie zu machen, wie es der Autor selbst geworden zu sein scheint.

Naming als integraler Bestandteil des Erzählens

Wurde "naming" in den short stories noch als solches thematisiert, so wird es unter den benannten Umständen, besonders in "Seymour. An Introduction", zum integralen Bestandteil des Erzählens, aber nicht, wie in SALINGERs Roman, als Signal innerhalb eines motivlich-symbolischen Verweisungssystems, sondern als Funktion im Rollenspiel zwischen Autor, Erzählerfigur und "erzählter" Figur. So kann hier der Name des Erzählers, "Buddy", zum Programm werden: "Kumpel", in US-englischer Aussprache, "body", "Körper".

Man vergegenwärtige sich den erzähltechnischen Vorgang: ein Autor erfindet einen Ich-Erzähler (1), der ebenfalls Schriftsteller ist (2) und als Verfasser einiger seiner (des Autors) Texte auftritt, in einem Fall sogar die Wirkung der früher verfassten Kurzgeschichte zu korrigieren versucht, indem er sagt, die Titelfigur, Seymour in "A Perfect Day for Bananafish", ähnle mehr ihm als dem "echten" Seymour (3), seinem Bruder, über den er schreibt (4) und der gleichfalls (wenn auch auf einem anderen Gebiet) schriftstellerisch tätig war (5). Er (der Ich-Erzähler) versucht zu einer Wesensschau seines Bruders vorzudringen, die ummantelnde Kurzgeschichte wird immer wieder angesetzt, löst sich aber stets in Episoden auf, die letztlich dazu dienen, die geistige Gestalt des Bruders gegenwärtig zu machen. (6).

All dies wird unternommen, um die Grenzen zwischen Erzählerfigur und Autor verschwimmen zu lassen. In "Raise High" war Buddy vielleicht noch der schreibende Teil des Autor-Ich, "buddy", der Gefährte, Freund, >Kumpel<, weil ein Erzählrahmen gegeben war, in "Seymour" kann von einem alter ego kaum mehr die Rede sein, die Lesart "body" ist in ihre Funktion getreten. Im gleichen Maß, wie dies geschieht, wird der Autor Teil des Textes und Teil der Familie. Er steht als Beschreibender dem über-Ich dieser Familie gegenüber: Seymour, dessen Dominanz wie Vielschichtigkeit sich einer Einbindung in eine kohärente Erzählstruktur, einer Anbindung an ein einziges signifikantes Geschehen verweigert. Dem entspricht die Zersetzung der "alten" Erzählform, ihr Zerfallen zu Leser-Appellen, Reflexionen, privaten Anspielungen, mit denen die "mäandernde" Form der früheren Texte, die noch von durchgehenden symbolischen Bezügen zusammengehalten wurde, verlassen wird. Seymour ist "see-more", er gibt den Erlebnissen und Begegnungen des Schreibenden einen (wenn auch oft erst verspätet erkannten) Sinn; er ist buchstäblich omnipräsent, sein "Auftauchen", meist in wehendem Mantel, hierfür bezeichnend, MR JESOU, wie sich sein Name im Anagramm lesen lässt. Er ist der kreative, poetische Mensch, deshalb, der frühgeschichtlichen, mittelalterlichen wie romantischen Vorstellung nach, der Seher, der Erklärende, der Weise und in seiner Demut auch der christliche Heilige. Man kann den Eindruck gewinnen, dass er es ist, der den Text, der ja, dem Zusammenfallen von Autor und Erzählerfigur entsprechend, der Lebenskontext ist, schreibt, "bud" nur die "Knospe", derjenige, der den Abbildungs- d.h. den Verstehensversuch unternimmt.

Je mehr Erzählerfigur und Autor zu einer "Person" sich vereinigen, desto schärfer wird das Paradox empfunden, das darin besteht, dass sich der zu Beschreibende der Beschreibung entzieht, je näher man ihm kommt, dass Nähe und Ferne sich verschränken.

In diesem Sinn kann das Scheitern des Beschreibungsversuchs sehr wohl geplant sein. Das Fragmentarische oder Umkreisende des Textes stünde dann in einer romantischen wie in einer Tradition der Moderne. Indem die ganzheitliche Beschreibung scheitert, wird zweierlei erreicht: die Problematisierung der an ihre Grenzen geführten literarischen Dastellung und die offene Form - oder die gänzliche Verwandlung von Inhalt in Stil.

Drei Namen in der Story "Teddy" signalisieren das Vater-Sohn-Verhältnis: "McArdle", "Nicholson" und "Mathewson" direkt, "Theodore" (Teddy) indirekt. Letzterer bedeutet "Gottesgeschenk" - dieses Geschenk, von dem es in "Raise High the Roof Beam, Carpenters" heisst, dass es, wenn es als ein Kind geschenkt wird, nicht uns gehört, ist wohl als Geschenk des Vater-Gottes zu denken. McArdle ergibt als Anagramm "Adler"; der Adler ist das Tierattribut des Evangelisten Johannes und eines der Wesen, die in dessen "Apokalypse" an Gottes Thron wachen. Nicholson kann mit "son of Nick", "Sohn des Teufels" zusammengebracht werden (Peter FREESE), Mathewson ist "Sohn des Matthäus", womit der zweite Evangelist angespielt erscheint. Der Name gehört zwar zu einer Frau, die aber "Seekadett ist und erscheint damit "vermännlicht". Lebensendzeitliche Stimmung des Textgeschehens wird durch die Evangeliensymbolik verstärkt.
In ihrem Zusammenhang ergeben die drei Namen einen biblischen Hintergrund, vor dem sich die Handlung um den jugendlichen, fast noch als kindlich dargestellten Zen-Weisen Teddy abspielt, der über seherische Fähigkeiten verfügt und damit der Figur Seymours (see-more) korrespondiert.

Teddys Gespräch mit Nicholson, das dieser nach längerer Beobachtung des Jungen beginnt, nimmt den größten Raum in der Kurzgeschichte ein. Wenn Nicholson etwas Böses verkörpert, wie sein Name nahelegt, so kann dieses Böse nur in der scheinbar freundschaftlichen, lockeren, in Wahrheit von Neugierde und sich verständnisvoll gebender Arroganz bestimmten Tonlage liegen, mit der er das Gespräch führt. Darin ähnelt er zwei anderen Figuren, die einen bestimmten Typus des Intellektuellen verkörpern, nämlich Luce, dessen Name auf "Luzifer" zurückgeführt wird (in "Der Fänger im Roggen") und Lane Coutell (in "Franny").

Nimmt man die Leidekker-Prüfungskommission hinzu, die mit dem Wunderkind Teddy Sitzungen veranstaltet, um seine außerordentlichen Fähigkeiten zu erforschen, dann läßt sich der personale Bezug auf bestimmte Situationen des neuen Testaments hin erweitern. Die Sitzungen mit der Kommission (deren Name ironischerweise dem einer Firma für feinoptische medizinische Geräte ähnelt) entsprächen dem Gespräch des jungen Jesus mit den Gelehrten im Tempel, die Unterhaltung mit Nicholson der Versuchung Jesu durch den Teufel in der Wüste. Nicholson, auf dessen Beine und Füße bei seinem Auftreten der Blick des Lesers gelenkt wird, wäre dann nicht nur die Relationsfigur, die Teddy dazu veranlasst, seine Ansichten darzulegen. Vielmehr erhält die Story um Teddy, der sein Ende selbst festsetzt (auch das seiner Schwester Booper?) durch die Unterlegung mit dem assoziierbaren biblischen Hintergrund eine tragische Tönung, die ihrerseits wegen ihres Gegensatzes zur Zen-Anschauung dialektisch zur problematisierenden Frage nach dem Sinn von Tragik weiterführt. Der offene Schluss der Erzählung mit dem vom Leser zu vermutenden Sturz der Kinder ins leere Bassin an Bord der Queen Elizabeth ist es also nicht allein, was zum Nachdenken zwingt und die Richtung des Nachdenkens bestimmt. Booper, der Name der Schwester, ist seinerseits auf den Ausgang der Handlung ausgerichtet: "booby trap" bedeutet eine Falle, die durch das Arrangement von Gegenständen in einem Raum entsteht. Das "Sohn"-Signal der drei textenthaltenen Namen verweist durch die Möglichkeit der Assoziation mit "Gottessohn" auf die Möglichkeit der Deutung des Textes als Apotheose des Kindes.

C.F. STRAUCH hat von dem offenen Schluss des "Fänger"-Romans gesprochen, der den Leser in den vom Autor angeblich erwünschten Zustand des Zen-Adepten versetzt, der im Zen-Rätsel die Schwebe zwischen Richtig und Falsch wahrnimmt: Der Leser, der der weniger auffälligen Herkunft mancher Namen (übrigens auch wie mancher Symbole), der wechselseitigen Verweisungen zwischen ihren semantischen und historischen backgrounds nachspürt, ist in ähnlicher Weise dem Koan der Zen-Philosophie angenähert; allerdings wird an diesem Punkt auch der esoterische Zug im Werk des Autors sichtbar, den es neben dem realistischen aufweist: gerade dieses Nebeneinander macht aber den unverkennbaren Reiz des Werkes aus. Warum sollte ein Leser nicht einen Hauch von satori, dem Erlebnis der Erleuchtung verspüren, nachdem er in dem Namen des Verehrers von Franny, des Elite-College-Studenten Lane Coutell, die Wörter "lout" [awkward and stupid person] oder "Canaille" entdeckt hat ?

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