Einführung zu der Serie in der Main-Post vom 10.03.2000 von Roland Pleier
Hans Wirth, geboren am 2. Oktober 1928 in der Lohrer Fischergasse 332 (Eckhaus am Fischerbrunnen), verbrachte seine Kindheit in seinem Elternhaus.
Zwei Jahrzehnte lebte der gelernte Kaufmann, der bei der BayWa beschäftigt war, in verschiedenen Ortschaften Unterfrankens, bis er 1968 wieder nach Lohr zurückkehrte.
Zwei Jahre später bezog er zwar sein eigenes Haus in der Eichenstrasse. Sein Herz schlägt aber bis heute für "seine" Fischergasse und das "Meeviertel". Wirth heiratete 1952 Edeltraud Schwab, die direkt im Nachbarhaus, dem damaligen Gasthaus "Anker", geboren ist. Sie haben drei Kinder und sechs Enkel.
Seine Erinnerungen an die früheren zeiten in der Fischergasse hat Wirth bereits Mitte der 1980er Jahre festgehalten und nun für eine kleine Serie in der Main-Post aufgearbeitet.
Die Bilder (Anmerkung: die Bilder in den damaligen Zeitungsausgaben, die ich hier leider nicht zur Verfügung habe) stammen zum Teil aus dem Archiv der verstorbenen Schwiegermutter Anna Emmert, der ehemaligen Wirtin der Gasthäuser "Anker" und "Sonne". Dieses Archiv pflegt Wirths Schwägerin Maria Durner bis heute weiter.
(1) Des Fischergässers volle SchuheAls ich Ende der Sechziger als ehemaliger Fischergässer wieder nach Lohr gezogen bin, war unser Jüngster gerade im richtigen Lausbubenalter.
Weil er damals oft abends mit nassen Schuhen vom Main nach Hause kam, habe ich ihm eines Tages verboten, in der nächsten Zeit durch das Fischertor zu gehen.
Am nächsten Abend jedoch hatte er wieder gefüllte Schuhe. Auf meine Frage, was ich tags zuvor verboten habe, bekam ich zu hören, er sei ja nicht durch das Fischertor, sondern bei der Steinmühle und dem Seeweg herum gegangen.
Diese Begebenheit weckte Erinnerungen an die eigene Kindheit, die sich viel dunne om Mee abgespielt hat. Es war dies eine Zeit, die für viele Leute noch durch einfache und bescheidene Lebensverhältnisse geprägt war, aber in vielen Dingen menschenfreundlicher gewesen ist, vor allem den Kindern und Jugendlichen gegenüber.
Diese Zeit etwas zu beschreiben, soll der Sinn dieser kleinen Serie sein.
(2) Laut rasselnd kündigt sich die Meekuh an
Im Mai 1938 endete auch in Lohr die Zeit der Kettenschlepper mit der Bergung der Kette aus dem
Main. Diese Kette, an der sich die in Lohr "Meeküh" genannten Schleppboote den Fluss hinaufzogen
wurde im 19. Jahrhundert bis Lohr verlegt (Foto: Archiv Schulmuseum). Der erste Kettenschleppzug
erreichte Lohr am 9. August 1895. Mit den Schleppern "Mainkette I, II und III" wurde in den Jahren
1895 bis 1898 der Schleppverkehr von Mainz bis Lohr im Auftrag der Aktiengesellschaft "Mainkette"
durchgeführt. Nach "Austiefungsarbeiten" konnte die Strecke im Juli 1900 bis Kitzingen weitergeführt
werden. 10./11. 3. - Lohrer Echo. |
In der Fischergasse wird der Alltag durch lautes Tuten unterbrochen. "Die Meekuh kümmt!", rufen die Kinder und rennen durch das Fischertor hinuter zum Mainkai. Auch manche Erwachsene machen sich gemessenen Schrittes dorthin auf den Weg.
Es ist ja nicht ein alltägliches Ereignis, dass einer der sechs in Betrieb befindlichen Kettenschlepper laut rasselnd und ratternd den Main aufwärts fährt. Die Männer stehen große Bogen spuckend am Ufer, wegen des lauten Kettengerassels und des Maschinenlärms vom Schlepper ist eine Verständigung durch Zuruf nicht möglich, deshalb wird mittels Handbewegung den Schiffsleuten mitgeteilt, ob der Wasserstand gleichbleibend, fallend oder steigend ist. Die Schiffsleute und Flößer erkennen durch Ablesen der Meßlatte, die an der Treppe der Kaimauer angebracht ist, immer den genauen Wasserstand - vor dem Bau der Staustufe sehr wichtig.
Für uns Lausbuben ist dies die Gelegenheit, die Erwachsenen zu ärgern. Kommt ein Zuruf nach dem Wasserstand, so schreinen wir zurück:
"Was ist los? Ich verstehe nicht" oder "genau so wie letzte Woche" oder "zwä maol die Hälft - zähl's zamm"
doch die Zeit war damals nicht so humorlos wie heute; man kannte die Schiffischen. Wir haben als Buben für die Schiffsleute manchen Eimer Wasser vom Brunnen in der Fischergasse geholt und haben auch manchen Zehner dafür bekommen.
Als Umschlagplatz für Massengüter verschiedener Art hatte der Mainkai damals große Bedeutung. Dies bedingte, dass sich dort ein großer Lagerplatzu für Stammholz, Grundholz, Mainkies und so weiter befand, der zusammen mit dem damaligen Hafen für uns Kinder ein Eldorado gewesen ist.
(3) Die Mainlände ersetzte für die Buben den AbenteuerspielplatzDer von der Stadtverwaltung für Ordnung an der Mainlände eingesetzte Platzmeister hatte es mit uns weiß Gott nicht leicht. Die Lauser hatten nach dessen Meinung nie etwas Gescheites im Kopf, genau so wie wir der Meinung waren, daß der Platzmeister mindestens ein Dutzend Augen im Kopf hatte; und bestimmt so gut hören konnte wie ein Indianer.
Wenn wir etwas Verbotenes taten, hatten wir immer einen Wächter, der aufpassen mußte. Der Platzmeister kam nie durchs Fischertor ohne von uns bemerkt zu werden. Doch dann ist es öfter vorgekommen, daß am nächsten Früh in der Schule die Feuerlesmacher, die Schelchfahrer oder die Rotzerlesfänger aufgerufen wurden zum Strammziehen des Hosenbodens. Das hat damals wirklich nicht geschadet, es war halt doch noch eine ganz andere Zeit in der die Kinder (und nicht nur diese) in mancher Hinsicht noch viel gesünder waren als heute.
Mit der Uhrzeit wußten wir in der Regel auch immer ganz gut wie wir dran waren. Das erste Zeichen abends heimwärts zu denken, gaben uns durch ihren Feierabend die Holzarbeiter. Das zweite Zeichen gab die Benni-Käth (Katharina Keller), wenn sie immer zur gleichen Zeit lockend ihre Gänse im und am Main zusammen holte und durch die Fahrgasse heimwärts trieb. Das letzte Zeichen war das Ave-Läuten, bei dem wir immer zu laufen anfingen, denn mit dem letzten Ton mußten wir zu Hause sein. Dort wurden dann immer, soweit wir welche an hatten, die Schuhe kontrolliert. Hatten wir Gefüllte, war eine Abreibung fällig. Nasse Schuhe minderten nämlich deren Lebensdauer, und das konnte damals nicht so leicht hingenommen werden.
Heute wird auf der Mainlände nur noch Boule gespielt. Statt Holz- und Kies parken Camper und die Mitarbeiter von Rexroth auf dem Gelände. Es sei denn, es ist Festwoche - dann ist Ausnahmesituation und Rummel angesagt. |
Gleich außerhalb des Fischertores war die Stehhääwerhütte (Steinhauer), Treppenstufen, Fensterbänke und vieles mehr wurden hier mühsam mit Schlegel und Meißel aus Sandstein gefertigt. Eine harte Arbeit für die damit beschäftigten Leute. Gut in Erinnerung sind mir die kräftigen Fäuste dieser Männer, die schwieligen Hände und die gebeugten Rücken. Die Arbeit ging im wahrsten Sinne des Wortes um das tägliche Brot, das im Rucksack dabei war, und aus einem Keil Brot, einem Viertel roter Wurst, und einer Flasche gespritztem Apfelmost bestand. Der Rucksack wurde nach Feierabend nicht leer mit nach Hause genommen. Von den Arbeitsplätzen der Grubenholzarbeiter und der Schwellenmacher gab es immer Abfallholz aufzusammeln, das als Brennholz genutzt werden konnte.
Für uns Buben war es immer interessant zuzuschauen, wenn ein Fuhrwerk angekommen war, und die zum Teil tonnenschweren Steinquader über schräg zum Wagen aufgestellte Rundhölzer und Balken mit Hebelkraft und Hau-Ruck entladen wurden. Zuerst wurden Rillen geschlagen, dann Meißel angesetzt, die sodann mit schweren Hämmern eingetrieben wurden. Wir wußten natürlich immmer am besten, wie der Stein springt und gaben Laut, wenn wir ab und zu einmal recht hatten.
Auf unsere altklugen Bemerkungen, daß ein Blinder gesehen hätte, daß der Stein so nicht platzt, war es dann schon auch manchmal angebracht, sich nach rückwärts zu orientieren.
Aus sicherer Entfernung war dann von uns anschließend immer der damals allseits bekannte Ruf zu hören: "Racht er dir? Mir racht er nit." (sinngemäß: "Giftet's dir, ärgerst du Dich?" - abgeleitet von "Raucht er Dir?" - gemeint ist der Kopf).
Handliche flache Abfall-Steinbrocken verhalfen uns oft zum "Botschen", einem damals beliebten Spiel, das wohl von Boccia abgeleitet war. Dabei wäre es keinem Erwachsenen eingefallen, uns zu verjagen. Bestimmt haben wir dabei auch gelärmt. Was haben wir damals viel und gerne gebotscht.
(5) Von Spritzwagen Seifenblumen und SchwarzfußindianernBarfuß Laufen war für uns im Sommer ein Reisenspaß, so wie das für die Kinder bestimmt auch heute immer noch der Fall ist. Doch so manche Köstlichkeit, die damals damit verbunden war, gibt es heute auch nicht mehr.
Durch die Kuhpatschen laufen war schön; die durch die warme Sonne aufgeweichten Teerbeläge der Straßen machten uns zu Schwarzfußindiandern. Abends vor dem Heimgehen saßen wir oft an der Lohrmündung, um mit Wasser, Sand und Seifenblumen unsere Füße zu reinigen.
Die von uns so genannte Seifenblume gab es wirklich; es war dies eine Blattpflanze, die - im Wasser zwischen den Händen verreiben - Schaum bildete. Ich habe schon oft nach diesem Gewächs Ausschau gehalten, scheinbar gibt es das heute nicht mehr.
Früher fuhr an den warmen Sommertagen im Auftrag der Stadtverwaltung die Brauerei Stumpf mit einem pferdegezogenen Spritzenwagen durch die Straßen und Gassen. Dies hatte den Zweck, den Bürgern an den Hundstagen durch das Besprühen des Straßenpflasters Kühlung zu verschaffen.
Der Spritzenwagen fand, wenn er unterwegs war, überall ein freundliches "Hallo" von jung und alt. Barfuß liefen wir dann immer hinterher und ließen unsere Beine naß regnen - bis zum Hals.
(6) Von Säuhammeln Saockebichern und Stichlingen StichlingFrüh wenn es zur Schule ging, hatten wir immer ein Taschentuch einstecken, das wurde von der Mutter streng kontrolliert, ebenso ob der Tafellappen sauber und der Schwamm feucht war. Genau so fest gefügte Zwänge waren gekämmte Haare und geputzte Schuhe. Diese Dinge wurden im Grad der Strenge gleichgesetzt mit obrigkeitlichen Pflichten.
Das Taschentuch außer Haus und ohne Aufsicht aber auch zu gebrauchen, das war wieder etwas anderes, schließlich gab es ja auch noch den "Saockebicher". Dann konnte man auch schon mal eine Bemerkung hören wie: "Guck hi, der konn's schon wie en Alte", oder "Mensch du Säuhammel, pass uff wo de hirotzt."
Ein Taschentuch hatten wir jedoch immer dabei, wenn wir Fischlich fangen wollten. Das Taschentuch beidhändig zwischen gespreizten Fingern gespannt und durch das Wasser gezogen diente dabei als Netz. Die flachen Uferregionen des Mains wimmelten damals in den Sommermonaten immer nur so von Jungfischen. Daheim hatten wir immer ein wassergefülltes Einmachglas als Aquarium, in dem wir die schönsten Lackel unterbrachten.
Dort, wo der Kaibach in den Hafen mündet, fingen wir die Steinbeißer und die Neunaugen. Wo im Uferbereich an den Rändern der Kiesbänke das tiefe Wasser beginnt, standen am Grund die Kressen. In der Lohr war unter jedem hohl liegendem Stein mindestens ein Rotzer zu finden. In den Wassergräben der Wöhrde, die Verbindung zur Lohr hatten, gab es jede Menge Stichlinge und Salamander.
Unsere Welt war damals wirklich noch in Ordnung.
Steinbeißer (7) Von Staustufen Schlingpflanzen und SteckerlfischAls der Main, bevor die Staustufen gebaut wurden, noch seinen natürlichen Lauf hatte, wuchsen im Flußbett Wasserpflanzen. Die hingen oft mehrere Meter lang in der Strömung. Im Sommer standen wir mit der Badehose im Fluß und haben zu zweit ein Bündel dieser Pflanzen gepackt und dieses Bündel gleichzeitig nach links und rechts verdreht und ausgerissen. Am Ufer haben wir dann die Fische, die sich häufig in den Pflanzen verfangen hatten, aussortiert.
Danach brauchten wir nur noch ein verschwiegenes Plätzchen, Streichhölzer und Salz. Fisch am Spieß war für uns immer eine Delikatesse. Geschadet haben wir mit dieser Schwarzfischerei damals bestimmt niemanden. Der Fischreichtum war einfach unerschöpflich. Vielmehr sind wir für den Fischbestand sogar nützlich gewesen. Bei sinkendem Wasserstand haben wir im Sommer viele Jungfische aus den vom Austrocknen bedrohten Tümpeln gerettet, indem wir durch den Bau von Dämmen und Wassergräben Verbindung zum Main geschaffen haben.
In dem damals noch klaren Wasser konnte man Fische in rauen Mengen sehen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wenn man im Bereich der Mündung der Lohr, des Stadtbachs oder des Kaibachs einen Stein ins Wasser warf, hat man in der Regel auch einen Fisch getroffen, der dann mit dem Bauch nach oben den Main hinuter trieb.
Vielleicht sind die Staustufen schuld, dass die Zahl der Fische abgenommen hat, vielleicht auch das Fischen der Amis nach Kriegsende mit Handgranaten - und in den Folgejahren wohl auch die enorme biologische und chemische Verschmutzung des Mains.
(8) Von Raddampfern, Binsenflößchen und MiesmuschelnDieser Raddampfer schwamm auf dem Rhein bei Mainz. Original zu finden bei Rheinschifffahrtsgeschichte.de
Von klein auf hatten wir als Kinder schon ein Verhältnis zum Main, das geprägt war von den Gesetzen des großen Wassers. Wir kannten die vom Fluß ausgehenden Gefahren und wussten immer, dass wir diese bei unseren Spielereien nicht vergessen durften.
Mit Binsenflößchen sind wir, zum Teil des Schwimmens noch unkundig, bis nach Rodenbach gefahren. Wir kannten dort, und auch in der Sackenbacher Flur, die Bäume, wo es die ersten Sommeräpfel und Pflaumen gab. Ebenso waren Gänse- und Enteneier, im flachen Uferwasser abgelegt, für uns keine Seltenheit. Die im Uferschilf eingebundenen Knoten zeigten uns die Stellen an, wo die Fischer ihre Reusen liegen hatten.
Dem starken Wellenschlag der damals noch fahrenden Raddampfer sind wir immer mit Respekt ausgewichen.
Tückisch für uns waren die vor den Bachmündungen ausgeschwemmten Sandbänke, die sich oft veränderten. An deren äußersten, steil abfallenen Rändern rutschte der Boden unter den Füßen weg wie Treibsand. Wie junge Hunde sind wir da manchmal schnaubend und prustend ans Ufer geplanscht. Sonne und Wind mussten dann immer helfen, dass bis zum Abend die Kleider wieder trocken waren.
Der Fluss im Bereich von Lohr, der damals im Sommer eine Tiefe von circa 1,5 Metern hatte, ist seit dem Bau der Staustufe doppelt so tief. Die Gefahren sind dadurch größer und manches ist unmöglich geworden.
So wie heute Barfußlaufen durch herumliegende Glasscherben gefährlich ist, war früher das Laufen im Wasser gefährlich. Die dort befindlichen Muscheln haben uns an den Füßen manche Schnittwunde verursacht. Solche Wunden mit Urin zu benetzen soll gut gewesen sein; geschadet hat es jedenfalls nicht.
Die Miesmuscheln wuchsen an den Sandbänken massenhaft. Für einen Eimer voll haben wir einen Zehner bekommen. Die Muscheln dienten als Entenfutter.
(9) Sprung vom Flutbogen in den ErntewagenFlutbögen der alten Lohrer Mainbrücke, 21.06.2010 18:20. Ohne Dreschmaschine und Erntewagen - bis in die neuste Zeit wurden hier noch beladene Erntewagen abgestellt - es ist halt trocken unter der Brücke.
Wenn im Sommer große Ferien waren, dann stand unter dem zweiten Brückenbogen auch regelmäßig die Dreschmaschine. Es war dies für uns auch immer ein lang erwartetes Ereignis. Die vielen, auch von den umliegenden Dörfern anfahrenden hoch beladenen Erntewagen, die Pferde, Ochsen und Kühe, sowie der ganze Dreschbetrieb bedeuteten für uns eine willkommene Abwechslung.
Auf den ausgedroschenen Strohballen und in dem von der Maschine ausgeblasenen Spreuhaufen herumtollen war schön.
Vom oberen Rand des schräg gemauerten Flutbogens sind wir in die beladenen Erntewagen gesprungen. Gewiss wurden wir manchmal von Erwachsenen geschimpft, wenn wir es zu toll trieben, aber nie richtig böse, und gar verjagt hat man uns nie
Die Dreschmaschine kannten wir in- und auswendig. Wenn die Maschine still stand und niemand da war, sind wir fachmännisch darin herum gekrochen. Wir kannten den Rüttler, den Dreschkorb, den Elevator, die Presse und so weiter.
Einmal ist es uns himmelangst geworden, als Monteure kamen um die Maschine zu reparieren. Beim eiligen Aussteigen an der Unterseite lief - von den Monteuren angelassen - das Dreschwerk an. Das hätte dumm ausgehen können.
Gut in Erinnerung mit der Dreschmaschine ist mir das Bild der Bauersleute, die am Körnerauslauf standen und den Lohn für die harte Arbeit eines Jahres durch die Finger rieseln ließen. Es hat dabei bestimmt manchen guten Gedanken über den Wert des täglichen Brotes gegeben.
(10) Wasservögel mit Feuer aus der Röhre gejagtVon den Älteren hörten wir oft Erzählungen vom strengen Winter 28/29, als sogar die beladenen Fuhrwerke übers Eis gefahren sind. Es wurde auch damals schon behautptet, dass die Winter früher viel strenger gewesen seien, genau wie heute auch.
Nun, auch für uns kam einmal ein Winter, der uns auf dem Main eine geschlossene tragfähige Eisdecke brachte. Ein paar ungleiche, außerdem noch reparaturbedürftige Schlittschuhe hatten wir vom Schuttplatz. Doch mit Riemen und Pressbendel befestigt, haben wir damit auf dem Main abwechselnd unsere Kurven gezogen. Lange hielten das unsere Schuhe allerdings nicht aus. Es waren halt, nach dem damaligen Sprachgebrauch, so richtige Absatzreißer.
An der einzigen eisfreien Stelle, an der Kaimauer, wo aus einem Durchlass kommenend, der Linnebaoch in den Main mündete, hatten sich eine Menge Wildenten und Blasshühner eingefunden.
Von uns verfolgt, flüchteten die Vögel immer in den Durchlass. Was tun? Wir kamen nicht ran um die Biester aus ihrem Versteck zu vertreiben. Bis einem von uns eine, im wahrsten Sinne des Wortes, zündende Idee kam: Wir holten vom Schuttplatz eine alte Schüssel, und machten darin mit gut brennbarem Material ein Feuer. Diese Schüssel ließen wir sodann von oben in den Durchlass treiben. Unten standen welche mit Stöcken, die sodann die flüchtenden Wasservögel in Empfang nahmen.
Wir kamen also zu unserem Braten: Am Spieß überm Feuer gegart wurde von uns so macher Wasservogel verdrückt.
(11) Flößles-Fahrer auf der Flucht vor dem Main-NessiVon Indianern, Seeräubern und so weiter haben wir natürlich auch viel geträumt. Unsere Phantasie beschäftigte sich auch mit See-Ungeheuern, die es nach unsererMeinung in den breiten Schilfgurten der Ufer und Buhnenregionen bestimmt noch gab. Wir hatten solche - auf Ehre und Gewissen - schon oft gehört. Einmal hatten wir jedoch ein echtes Abenteuer und das war so:
Rittlings, mit den Beinen im Wasser, saßen wir auf zwei zusammen gebundenen Grubenholzstempeln und paddelten mainaufwärts. Da kam uns doch von oben tatsächlich ein riesiges Biest entgegen, und ds hielt noch direkt auf uns zu.
Heiliger Bimbam, das hatten wir nun von unserer Flößles-Fahrerei. Uns fielen sämtliche Sünden ein; bestimmt waren wir rettungslos verloren. Wir wendeten und strebten mit allen Kräften abwärts dem Ufer zu. Dort, wo heute das Bootshaus steht hasteten wir an Land und rannten um unser Leben.
Erst als über die damalige Anstaltswiese uns Männer entgegen kamen, trauten wir uns zurück zu schauen und sahen dort, wo wir gelandet waren, ein total erschöpftes Kamel ans Ufer steigen. Die Männer, die das Tier von Gemünden her verfolgt hatten, waren von einem dort gastierenden Wanderzirkus.
Wir machten damals gar nicht viel Aufhebens um unser Erlebnis. Geglaubt hätte uns das sowieso niemand; außerdem war uns von zu Hause das Flößle-Fahren verboten.
(12) Mit kräftigen Stöcken und Schleudern die Bullen traktiertAuf dem Platz unterhalb der Mainbrücke fand früher immer eine Bullenkörung statt. Die Tiere waren dabei an extra für diesen Zweck angebrachten Halterungen angebunden.
Zwischen der Prüfungskommission, den Händlern und den Bauern ging es dabei immer ziemlich lebhaft zu. Das Treiben wurde von uns Kindern wegen der Bullen immer aus sicherer Höhe einer Holzarge (Holzstoß) beobachtet. Es kam doch ab und zu vor, dass so ein Tier los kam. Es war für uns dann immer interessant, wenn so ein zwanzig Zentner schweres Tier Unruhe schaffte und stampfend über die Mainlände donnerte.
Bewundert haben wir damals immer die Männer, die diese Muskelpakete zu Fuß aus den umliegenden Bauerndörfern brachten und auch dorthin wieder zurück transportiert haben.
Es waren imposante Bilder der Stärke, wenn über die Mainbrücke, von geübter Hand am Nasenring geführt, ein Stier gebracht wurde, dem mit einem Sack die Augen verbunden waren, und dem vom Treiber, zwecks Zügelung des Temperaments, die Stirnpartie und die Hörner mit einem kräftigen Stock bearbeitet wurden.
Sicher nicht rühmenswert war es, dass wir bei solchen Gelegenheiten mit Gummischleudern und Schottersteinchen die Hinterteile der Tiere unter Beschuss nahmen, was deren Temperament immer noch besonders anheizte.
(13) Pioniere, Pontonbrücken und PilotenZu Zeiten der Reichswehr kamen jährlich die Ulmer Pioniere zum Manöver nach Lohr.
Für uns war das natürlich auch etwas Besonderes. Der Bau einer Pontonbrücke über den Main wurde von uns immer genauestens begutachtet. Das Einfahren der einzelnen Brückenteile hätten wir "Spezialisten" natürlich immer viel besser gekonnt. Besondere Freude hatten wir, wenn wir - was manchmal vorkam - mit dem Schlauchboot mitfahren durften.
Einmal wurden wir sogar im Sturmboot mitgenommen. Ich kann mich erinnern, dass ich damals vor Stolz bald geplatzt bin.
Natürlich haben wir uns bei diesen Gelegenheiten auch immer in der Nähe der "Gulaschkanone" herum getrieben. Manchen Schlag Bohnen mit Speck und Kommissbrot haben wir abbekommen.
Aus dieser Zeit ist mir ein Erlebnis in Erinnerung, über das wir damals richtig Bauklötze gestaunt haben. Ein Flieger war damals noch eine Seltenheit, nach dem man sich , sobald Motorengeräusch aus der Luft zu hören war, immer umgeschaut hat. Ich weiß noch, wie wir nach einem Doppeldecker schauten, der ziemlich tief flog. Auf einmal zor er so tief, dass er mainabwärts fliegend, mit den Rädern fast die Wasserflächeberührte. Bis wir es richtig erfassen konnten, war der Flieger tatsächlich durch den mittleren Brückenbogen hindurch, zog danach hoch, und verschwand mainabwärts zwischen den Bergen. Es war kein Mondflug, den wir damals gesehen haben, aber für uns genau so aufregend.
(14) Die Schatzkiste im Sand war eine Entäuschung
Sandschöpfer bei der Arbeit. - Foto-Postkarte aus den 30er Jahren
von Franz Schäfer
Ein Erwerbszweig der Lohrer Fischer war das Sandschöpfen. In den Zeiten, in denen der Main noch seinen natürlichen Lauf hatte, wurde Mainsand als gewaschenes Rohmaterial direk aus dem Fluss geholt. Das Bild der Sandschelche gehörte zum Main genau so wie die Schelche mit den Fischnetzen. Mit an kräftigen Stangen befestigten Schöpfkübeln wurde der Kies vom Grund geholt.
Für diese Schwerarbeit wurde später ein Schwimmbagger eingesetzt, wir erlebten damit wieder einmal den Traum vom Großen Abenteuer. Wir beobachteten vom Ufer die Baggerarbeiten, als auf einmal von einem Schöpfgreifer weg eine handliche, stabil aussehende Kisteauf die Blechrutsche, und von da in den Sandschelch befördert wurde. Nachfolgendes Kiesmaterial deckte die Kiste zu, ohne dass der ganze Vorgang vom Bagger aus bemerkt worden wäre.
Nun wurde es für uns spannend. Es war bald Feierabend. Bagger und Sandschelch wurden am Kai festgemacht. Wir warteten bis die Luft sauber war, dann gruben wir die Kiste aus. Das Ding bestand aus schwarzem fest gefügtem Holz, ein starkes Eisenband war rundherum angebracht. Das Fundstück war schwer, ganz bestimmt waren nur lauter Kostbarkeiten darin.
Wir hatten ein Versteck im gegenüberliegenden Buschwerk der Lohr. Dorthin schafften wir unseren Schatz. Dann holten wir uns zum Öffnen der Kiste von daheim Werkzeug und machten uns dann an die Arbeit. Gespannte Erwartung steckte in uns, was dann zum Vorschein kam war grauer Schlamm und sonst gar nichts. Es war dies sicher der Rest von Papier, das sich ursprünglich darin befunden hat. Was für Papier, von welchem Wert und Bedeutung bleibt ein Geheimnis. Wir waren restlos enttäuscht und total ernüchtert gingen wir abends heim.
(15) Von der Partelstener Marie
Eine besonder Hetz waren für uns auch die alljährlich stattfindenden Kannsfeuer. Schon etliche Tage vorher sind wir mit großen Wagen durch die Stadt gezogen, wobei schon mancher Mummenschanz getrieben wurde, und haben alles eingesammelt, was von den Leuten zu diesem Zweck entrümpelt wurde. Überall, wo wir auftauchten, war dann das von uns beim Einsammeln gesungene Lied zu hören: "Steuer, Steuer zum Kannsfeuer, Johannistag ist nicht mehr weit, drum steuert bei ihr liebe Leut, Steuer, Steuer zum Kannisfeuer." Zum Schluss wurden alte Weiberklamotten mit Stroh ausgestopft, es entstand so eine große Puppe, die als sogenannte "Partelstener Marie" durch die Stadt hinunter zum Feuerplatz getragen, an der Spitze des Feuerbaumes festgemacht, und dann unter Jubel und Hallo mit verbrannt wurde. Wo dieser alte Brauch mit der "Partelstener Marie" wohl hergekommen sein mag, ob der Ursprung vielleicht in den hexenverbrennungen zu suchen ist? Wir haben damals sicher auch schon in Verbindung mit dem Kannsfeuer so eine Art von Sperrgutabfuhr durchgeführt. |
Sonnwendfeier in Lohr am Main (unbekannter Künstler) |
Hochwasser in Lohr heute (10.01.2011). Foto: Thomas Josef Möhler (www.main-netz.de)
Zum Main gehört natürlich auch das Hochwasser, das, obwohl in keiner Weise etwas Erfreuliches, von uns Jungen immer begrüßt wurde. Im Hochwasser mit Gummistiefel oder Stelzen laufen, oder mit dem Fahrrad, oder gar mit einem Floss darin herumfahren - Mensch war das immer prima.
Mit Genuss hörten wir immer das Jammern der Erwachsenen, wenn das Wasser bis an oder gar in die Häuser kam. Für uns konne es gar nicht hoch genug steigen.
Doch in gewissen Sinne hatten auch die Erwachsenen immer ihren Spaß am Hochwasser. Der Gang zum Main, um nach dem Wasserstand zu schauen um zu sehen, ob die eigene, oft mit Steinen beschwerte Brennholzarge noch sitzt.
Es war interessant zu beobachten wie bei steigendem Wasser so ein Holzstoß sich langsam hebt und dreht und dann in sich zusammen stürzt. So ein Vorgang wurde immer mit einem lauten Hallo begleitet.
Dann hieß es zum Beispiel: "Haste gesann, dem Soppe Jok sei Prügel hat
grad der Teufel geholt?! Na ja, die Arbeit mit dem Säge' und Spalte' hat der sich jetzt
a g'spart." Manche ergötzliche Redensarten wurden bei solchen Gelegenheiten geführt.
Da wusste einer zu berichten, dass gestern in Prozelle (Langenprozelten) ein Bauer beim
Dreschen in der Scheune vom Hochwasser überrascht wurde.
Die Scheune sei mitsamt der Dreschmaschine und den Leuten auf der Maschine, die durch
deren Krach noch gar nichts mitbekommen hätten, den Main hinunter geschwommen.
Das sei noch gar nichts, wusste ein anderer zu berichten, man solle sich doch vorstellen, dass heute früh ein Lokushäuschen angetrieben sei und darin sei tatsächlich ...
(17) Türkisfarbene Flieger über dem Main
Eisvogel (Alcedo atthis) mit einem erbeuteten Gründling. Quelle: (http://de.wikipedia.org/wiki/Eisvogel)
Zum dem, was so am Wasser kreucht und fleucht, gehört der Fischreiher, den es wohl auch heute noch gibt, der aber, bedingt duch den stark dezimierten Fischbestand seine Lebensweise sehr verändert hat.
Man sieht heute den Graureiher auf den Feldern hinterm Pflug Engerlinge und junge Mäuse aufnehmen. Das hat es früher nicht gegeben. Am Mainufer entlang, mindestens alle fünfzig Meter, war so ein Vogel bewegungslos wie ein grauer Pfahl gestanden.
Die spannenlangen Schneiderlauben, die es damals in einer unendlichen Menge im Main gab, wurden laufend blitzschnell mit dem langen Schnabel aus dem Wasser geholt.
Wir beobachteten diese Vögel oft, es war interessant ihnen beim Fischen zuzusehen - enorm was die für einen Appetit hatten. In Mengen wurden die Fischchen, mit steil aufgerichtetem Hals, in den Magen befördert.
Die Verdauung war entsprechend, der Auswurf wurde im Flug erledigt. Ladungen kamen da herunter, die hatten es in sich. Es war tatsächlich so, dass wir Buben am Main oft die fliegenden Reiher im Blick hatten, um dem Segen, der da oft von oben kam, auszuweichen. Der Eisvogel, den es wohl auch heute noch vereinzelt gibt, war zahlreich vertreten.
Wir kannten die Nisthöhlen und haben armtief hinein gelangt und durch Abtasten die Eier gezählt. Bei den Nestern im lehmigen Steilufer der Lohr, kurz vor der Mündung, war es Ehrensache für uns, die flügge werdenden Jungen bei ihren ersten Flugversuchen vor Katzen und Greifvögeln zu schützen.
Mit Glück und Geduld kann man heute noch diesen türkisfarbenen Flieger mit gellendem Pfiff knapp über die Wasseroberfläche des Mains dahin schießen sehen. Wir kennen die einzigen Nistplätze unserer Gegend dieser unter Wasser jagenden Räuber, um nichts in der Welt würde ich deren Standort preisgeben.
(18) Bärenführer einen Bären aufgebundenDer in Stadtnähe liegende Bereich der Mainlände hatte Anziehungskraft nicht nur für das fahrende Volk, sondern wurde in der warmen Jahreszeit auch öfter zum Rasten und Lagern von Handwerksburschen, Scherenschleifern und Straßenmusikanten aufgesucht
Die auf den Leierkästen der Drehorgelspieler sitzenden Äffchen wurden aus sicherer Entfernung von uns geärgert. Einmal hatte sich durch unsere Schuld so ein Tierchen losgerissen und ist abgehauen. Wir wurden als brave Buben gelobt, als wir es zurück brachten und haben als Belohnung dafür pro Nase 20 Pfennig geschenkt bekommen.
Einmal hatten Straßenmusikanten, die im Gasthaus "Günder" ihren Durst löschten, ihren Tanzbären unter einem Brückenbogen an einen im Mauerwerk befindlichen eisernen Ring angebunden. Na ja, das Tier war ja gut angebunden, also konnten wir es ärgern. Das taten wir ausgiebig. Als dann der ahnungslose und angetrunkene Bärenführer erschien, waren wir von der Bildfläche verschwunden. Hinter einer Holzarge versteckt, konnten wir dann sehen, wie der Mann von seinem Tier "gestreichelt" wurde. Sicher nur durch die Wirkung des Alkohols ist der Mann darauf hin zu Boden gegangen und liegen geblieben ... - Da kein weiterer "Auftritt" zu erwarten war, haben wir ziemlich schnell die Szene verlassen.
(19) Von Hasenbrot, Zwetschgen und lateinischen GebetenEin richtiges Hobby für uns war am Samstagnachmittag der Gang zum Kapuzinerkloster - obwohl es die Eltern verboten hatten. Am Kloster fanden sich öfter an der Pforte Hanwerksburschen ein. Nach dem Läuten an der Zugglocke erschien der Kopf des Pater Pförtner. Der schaute, wieviel wir waren.
Oft mussten wir dann warten, bis noch einige dazu kamen. Sodann erschien der Pater Pförtner in der Türe mit einem Messer und einem Laib Brot. Wir mussten uns aufstellen und das "Vater unser" beten. Dann bekam jeder einen ordentlichen Keil, mit dem wir nach einem "Vergelts Gott" wieder abzogen. Es war bestimmt keine Not und kein Hunger, aber das beste Brot für uns war es ganz bestimmt. Das echte Hasenbrot gab es halt nur bei den Kapuzinern.
Genau so, wie die Zwetschgen aus dem Klostergarten immer die besten waren. Die konnten wir uns allerdings nicht an der Pforte abholen - vom Seeweg aus auf der Klostermauer sitzend waren sie jedoch ganz gut zu erreichen.
Durch diese Bekanntschaften angeregt wurden wir später in der Klosterkirche zum ministrieren auserkoren.
Die hierfür erforderlichen lateinisch gesprochenen Gebete auswendig zu lernen war eine Sache für sich. Zum Beginn der Messe haben wir vor dem Altar kniend mit gebeugten Kopf immer nur unverständlich gemurmelt. Dabei schielten wir auf die Füße des daneben stehenden Pfarrers. Sobald er den Fuß hob, um die Altarstufen zu betreten, haben wir den Kopf hoch geworfen und ein lautes und deutliches Amen von uns gegeben.
Quelle: (Ehemal. Kapuzinerkloster - lohr.de)
Auch die nomadisierenden Zigeuner gehörten in das Bild der damaligen Main-Landschaft. Zwischen dem Hafen und der Ziegelhütte war der Standplatz für das fahrende Volk, der damals oft belegt war.
Schöne, von leichten Pferden gezogene Wohnwagen gab es da, die für uns immer ihre Anziehungskraft hatten.
Aus sicherer Entfernung haben wir dem Treiben dieser Leute oft zugeschaut. Eine unüberwindbare Scheu bestand auf beiden Seiten.
Schirmflicker, Korbmacher und Scherenschleifer waren es, deren Kinder manchmal zu uns in die Schule kamen. Kontakte zu diesen Kindern gab es dabei nie. Dazu waren wir zu lieblos und dumm.
Eine Begebenheit ist mir jedoch in Erinnerung, die ich wohl nie vergessen werde: Ein Zigeunerwagen stand über mehrere Wintermonate unten am Main, ein Bub davon, ungefähr in meinem Alter kam eines Abends bettelnd zu uns nach Hause. Er bekam ein Stück Brot und einen Becher warme Geismilch.
Scheu und schüchtern kam er dann jeden Abend. Zum Verzehr verdrückte er sich immer im Gang hinter der Treppe, richteten wir das Wort an ihn, so ließ er alles liegen und stehen und rannte weg.
Heute weiß ich, dass es bestimmt sein Herzenswunsch war, sich mit uns Kindern abzugeben.
(21) Unter Wasser lag der " Kasino-Joffel" auf der LauerAn der Lohrmündung war der Platz der Fischer. Dort lagen die Schelche im Wasser, sowie die Fischkästen. Im Frühjahr brannten am Ufer oft Feuer zum heißmachen der Teerkübel. die Schelche wurden an Land gezogen und bekamen eine neue Teerschicht. Kam ein Fischer vom Fang zurück, standen wir immer am Ufer und schauten, was alles im Schelch zappelte.
Bootsmotoren gab es damals noch nicht, die Kähne wurden von Hand, das heißt mit einer langen Stange, Fahrbaum genannt, oder am Heck sitzend mittels eines Handruders vorwärts bewegt. Zum Bedienen des Handruders beim Reußen-Heben wurden wir manchmal mitgenommen. Beim Anfahren der Plätze, die uns oft nicht unbekannt waren, haben wir uns natürlich immer dumm gestellt. Die verschiedenen Methoden der Fischerei kannten wir gut, ob nun Reußen gehoben, die Stellnetze kontrolliert, oder mit dem Wurfgarn oder dem Hebnetz gearbeitet wurde. Dabei sein bedeutete uns viel und es war immer interessant, was und wieviel gefangen wurde. Die in der Lohrmündung festgemachten Fischkästen übten immer eine besondere Anziehungskraft auf uns aus. Was soll's denn, man kann doch ein bisschen aufpassen, dass nicht ein Brett locker ist und die Fische abhauen. Wir machten uns einmal an so einem Fischkasten zu schaffen. Da kam von uns unbemerkt der Fischer und glitt aus, als er um uns zu überraschen über den Schelch stieg, und fiel ins Wasser. Wir bemerkten den Vorgang erst, als der erboste Mann prustend aufstand und hauten schnellstens ab, bevor er uns erwischte.
Als wir in Sicherheit waren und verschnauft hatten, staunten wir über den "Kasino-Joffel", der doch tatsächlich im Wasser unterm Schelch auf uns gelauert hatte.
Quelle: Main und Meer - Ausstellung der Kunsthalle Schweinfurt
Fischer an der Alten Mainbrücke in Lohr – um 1930.
Foto: © Stadtarchiv Lohr am Main, Sammlung Schäfer
Das Stück Mainlände zwischen dem ehemalingen Hafen und der Ziegelhütte diente auch zum Abladen und Lagern der aus dem Spessart kommenden Nadelhölzer. Diese wurden hier zu Flößen zusammengebaut, und als solche weiter den Main und Rhein abwärts transportiert.
Die Flößer mussten sich schinden und plagen, bis so ein Floß, von teilweise über hundert Meter Länge fertiggebaut war. Die Stämme mussten einzeln mit Hebelstangen, Wendehaken und Hau-ruck ins Wasser gewuchtet werden. Damit so ein Floß in sich elastisch ist und die lange Fahrt aushält, wurden die einzelnen Stämme mit Buchenstangen, die vorher wie ein Strick in sich verdreht wurden, mittels starker eiserner Krampen zusammen gefügt - Männerarbeit, bei der Schweiß und manches andere oft in Strömen floss. Auf jedem Floß befand sich eine aus rohen Brettern zusammengefügte Hütte, darin war Stroh, außerdem eine einfache Bank, ein ebensolcher Tisch, sowie Nägel an den Wänden zum Aufhängen der Kleider. Ein einfacher Kanonenofen sowie in jedem Falle ein Fass Bier vervollständigten die Einrichtung.
Die Fahrt auf dem Main flussabwärts, die dann immer ein paar Wochen dauerte, muss sehr schön und romantisch gewesen sein. Was wir einige Male feststellen konnten und für uns verwunderlich war: die meisten Flößer konnten nicht schwimmen. Es ist doch ab und zu mal vorgekommen, dass beim Floßbau einer der Männer ins Wasser viel. Doch es waren immer Kollegen da, die dann mit Stangen geholfen haben. Den Umstand, daß die Flößer nicht schwimmen konnten, haben diese oft mit dem geflügelten Satz verteidigt: Warum sollen wir schwimmen können, die Dachdecker können ja auch nicht fliegen.
"Tauet Himmel den Gerechten im Winter geh'n die Flößer fechten.
Wolken regnet ihn herab die Fischer kommen auch in Trab.
In den langen Winternächten tun sie ihre Körb und Reussen flechten
im "Anker" wird dann Moust getankt
und vergnügt nach Haus gewankt."
Quelle: Die Blumenthal’s - eine nichtalltägliche Wildbader Familie
Flößer beim Einbinden eines Floßes im Kleinen Enztal.
Foto von Karl Blumenthal (aufgenommen ca. 1900-1910)
Zum Bild am Main gehörten auch die Pferdefuhrwerke, die den Transport der verschiedensten Waren zum Be- und Entladen der Schiffe durchführten. Schwere Arbeitspferde waren es, die mit ihren eisenbeschlagenen Hufen auf dem Stadtpflaster der Fischergasse Funken fliegen ließen. Der Pferdelenker (im "Dritten Reich" auch heimlich und verstohlen "Gaulleiter" genannt) knallten dazu mit der Peitsche, im Bewusstsein des guten Bildes, das sie ohne Zweifel abgaben, Täglich mindestens ein neues Peitschenschnur-Ende, Schmitze genannt, brauchte so ein echter Fuhrmann. Wir wurden als Buben oft zum "Hausgang-Laden" in der Fischergasse geschickt, um eine Dreierpackung "Eckstein" (Zigaretten) und eine Schmitze zu holen. Beides zusammen kostete 10 Pfennig.
Manchen Groschen haben wir uns auch durch Sandaufladen verdient; ein Zehner war die Taxe für eine Fuhre Sand. Es war hart verdientes Geld, doch wir waren froh darüber und haben oft geholfen.
Das im Bereich der Ziegelhütte, vom früheren Fährbetrieb nach Sendelbach, heute noch bestehende flach ausgemauerte Uferstück wurde von den Fuhrleuten als Pferdeschwemme benutzt. In der warmen Jahreszeit wurden nach hartem Tagwerk die Pferde hier zum Baden geführt. ein munteres Treiben entwickelte sich oft dabei, wobei manches mal Mut dazu gehörte, die Pferde am Zügel in das Wasser zu führen und dann noch zum Schwimmen zu bringen. Doch die Fuhrleute waren harte Burschen, die mit sicherer Hand ihre Pferde lenkten. Bewundert habe ich diese Männer immer, wenn sie einem wild gewordenen Gaul in die Zügel fielen und ihn mit sicherer Hand zum Stehen brachten.
Lohr am Main - Blick vom Rabenhorst
Quelle: www.akpool.de/ansichtskarten
Diese Postkarte kann man auf dieser Seite für 5 EUR bestellen.
Der öffentliche Brunnen, der in der Fischergasse an der Ecke zur Steinmühlgasse stand, war ein geselliger Ort, wo Wasser geholt, Wäsche gewaschen und Mostfässer gereinigt wurden. Es wurde dort manches Schwätzchen gehalten und Neuigkeiten ausgetauscht.
Es fand sich doch immer eine Nachbarin, die etwas Neues wusste, beziehungsweise noch nicht wusste. "Na na Fra Nachbare, ich konntr ihne soch ..."
Kein Wunder, dass es dann manchmal aus einem Fenster verdächtig nach Angebranntem roch und die Hausfrau auf einmal ins Rennen kam.
Die Schiffsleute, die zum großen Teil bekannt waren, gehörten auch oft in einen solchen Kreis, weil die ja weit herum kamen und dadurch auch oft etwas Interessantes zu berichten hatten.
Weniger einbezogen waren hier die Flösser, bedingt durch den Umstand, dass die es weniger mit dem Wasser, sondern mehr mit anderen Flüssigkeiten zu tun hatten.
Dieser Brunnen hatte für uns Buben etwas ganz besonderes, was uns oft Spaß gemacht hat. Der konnte nämlich nicht nur Wasser hergeben, nein, der konnte auch inhalieren. Wenn man nämlich diesem eisernen Säufer einen vollen Eimer Wasser an das Ausflussrohr hielt, sodann den Pumpenschwengel aus einer zum Ansaugen günstigen Ausgangsstellung rückwärts bewegte, hat dieser Brunnen mit einem laut saugenden Geräusch den ganzen Eimer Wasser eingesogen.
Das hat uns immer sehr belustigt, johlend sind wir dann um den Brunnen getanzt mit dem Ruf: "Er säuft wieder, ers säuft wieder!" Auch die Erwachsenen haben oft mit gelacht, bevor sie uns mit der Mahnung, dass der Brunnen kaputt gehen würde, verjagt haben.
Der hier beschriebene Brunnen existiert nicht mehr. 1983 wurde an der Stelle der Fischerbrunnen vom
Künstler Helmut Weber im Auftrag des Bayersturmvereines errichtet
Quelle: Foto von Bernd Uhl auf fotocommunity.de
Wo der Kaibach in den Hafen mündet, befand sich früher eine Wiese, wo Wäsche gebleicht wurde. War zu Hause Waschtag, hatten wir als Kinder die Aufgabe, die zum Bleichen ausgelegten Wäschestücke zu beaufsichtigen, damit nicht die Gänse darüber hinweg watschelten. Auch Kühe wurden öfter dort in der Nähe geweidet, und dabei gab es einmal ein amüsantes Erlebnis.
Der Hütejunge, ein uns bekannter Bauernbursche, zeigte uns, wie eine Kuh gemolken wird. Er war darauf sehr stolz und wollte uns vormachen, dass er eine Kuh sogar von hinten zwischen den Beinen hindurch melken konnte. Er kniete sich hinter die Kuh, um uns sein Können zu demonstrieren. Als die Kuh auf einmal in verdächtiger Weise ihren Schwanz hob, standen wir voll gespannter Erwartung da.
Es dauerte nicht lange, die erste Ladung Spinat traf unseren Freund ins Genick, der zuckte zurück, dabei ging die zweite Ladung direkt auf den Kopf. Unser Melker schaute nun in Richtung der Ursache dieses Segens, und um die Sache zu vervollständigen, bekam er nun eine dritte Ladung mitten ins Gesicht. Ein Bild für die Götter, das beste auf humoristischem Gebiet, das ich bis jetzt gesehen habe. Wir sind auf der Wiese herum gekugelt und haben uns vor Lachen nicht beruhigen können.
Eine Bleichwiese kennt man ja nicht mehr. Die hier abgebildete war in Obernburg, aber
die in Lohr - auch in meiner Jugend gab es die noch - sahen ähnlich aus.
Quelle: Seite des Heimat- und Verkehrsvereins Obernburg
(www.hvv-obernburg.de)
Der Winter war kalt, Schnee gab es auch. Wir hatten uns in der Muschelgasse hinunter zur Steinmühle eine Schlittenbahn gezogen. Damit wir unsere kalten Hände und Füße aufwärmen konnten, hat uns der Höflings-Schuster in seine Werkstatt gerufen. Dort stand ein eiserner Ofen, der vor Hitze nur so strahlte.
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte er uns dann der Höflings-Schuster, dass er ganz steinhart gedrückte Schneebälle verbrennen würde, die viel besser wärmen würden als Holz und Kohle. Zur Bestätigung seiner Worte ließ er uns einen kurzen Blick in das Ofenloch tun, wobei er uns weis machte, dass die darin befindlichen rot glühenden Eierkohlen lauter Schneebälle seien.
Sodann gab er uns einen Eimer, schickte uns damit vor das Haus, um neuen Brennstoff zu holen. Wir machten den ganzen Eimer voll Schneebälle, der Höflings-Schuster ermunterte uns dabei immer wieder, dass wir dieselben ja fest genug drücken sollten.
Als wir dann mit dem gefüllten Eimer in der Werkstatt erschienen, warf der Pfiffikus einen davon in den glühenden Ofen, was eine kurze zischende Verdampfung verursachte.
Dieser Vorgang wurde uns nun als Beweis der besonders guten Brennbarkeit erklärt. Bei noch besserem Drücken der Bälle würden diese dann auch im Ofen länger anhalten, was er uns nochmals mit den glühenden Eierkohlen bewies.
Dann schickte er uns mit dem Eimer nochmals vor das Haus, leerte ihn aus, und wir bekamen den Auftrag, die ganzen Schneebälle nochmal kräftig nachzudrücken.
Zu Haus wollte ich dann das Experiment vormachen, erntete aber nur Lachen und Spott.
Als Rache haben wir dann am nächsten Tag an das Fenster der Werkstatt geklopft und haben ganz unschuldig gefragt, ob es wahr sei, dass er wegen seiner schlechten Augen einmal versehentlich bei der Arbeit einen Schlappen an seinem Augendeckel angeflickt habe ...
Das war die letzte Geschichte von Opa Hans aus der Fischergasse. Ein
letzter Blick auf die Gasse seiner Jugend und als nächstes stehen dann die Dreharbeiten an :-)
Drehzeit in der Lohrer Fischergasse: Die Eingangsszene für einen Film des Bayerischen Rundfunks über den Fotografen
Franz Wilhelm Schäfer zeigt dessen Vater, einen Lumpenhändler (dargestellt von Hans Schecher), wie er durch die
Straßen Lohrs zieht und Altkleider sammelt.
Quelle: www.mainpost.de
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